Warum die Parteien der Großen Koalition den Klimaschutz kaum voran gebracht haben

Der Weck­ruf aus Karlsruhe

Kein hal­bes Jahr vor der Bun­des­tags­wahl ver­fällt die Gro­ße Koali­ti­on beim Kli­ma­schutz in hek­ti­sche Betrieb­sam­keit.
Der Grund ist ein Beschluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts: Ende April 2021 erklärt das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt das Kli­ma­schutz­ge­setz der Bun­des­re­gie­rung in Tei­len für ver­fas­sungs­wid­rig. Aus­ge­rech­net die­ses Herz­stück der groß­ko­ali­tio­nä­ren Kli­ma­po­li­tik erschien dem höchs­ten deut­schen Gericht zu schwach, um die Grund­rech­te jün­ge­rer Gene­ra­tio­nen zu schüt­zen. Der Kli­ma­schutz­pfad sei viel zu dif­fus, um sicher­zu­stel­len, dass die anste­hen­den Reduk­ti­ons­las­ten fair ver­teilt wür­den. Indem die Gro­ße Koali­ti­on mög­li­che Schrit­te im Kli­ma­schutz in die Zukunft ver­schiebt, gefähr­de sie die Frei­heit künf­ti­ger Gene­ra­tio­nen, so die Karls­ru­her Richter.

Bis spä­tes­tens Ende 2022 müs­se nach­ge­bes­sert werden.

So lan­ge woll­ten sich weder SPD noch Uni­on Zeit las­sen. In
den Tagen nach dem Beschluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts müh­ten sich Politiker:innen aller drei Regie­rungs­par­tei­en,
die Ohr­fei­ge aus Karls­ru­he in Anfeue­rungs­ru­fe umzu­deu­ten.
In Win­des­ei­le wur­den Ver­schär­fun­gen von Kli­ma­zie­len und schnel­le Sofort­maß­nah­men dis­ku­tiert, die bis vor kur­zem
mit die­ser Regie­rung noch undenk­bar erschie­nen. Offen­sicht- lich will kei­ne der Regie­rungs­par­tei­en mit einer Kli­ma­po­li­tik
in den Wahl­kampf zie­hen, die höchst­rich­ter­lich als ver­fas- sungs­wid­rig abge­stem­pelt wur­de. Zu schmerz­haft ist vor
allem der Uni­on ihr kata­stro­pha­les Abschnei­den in der Euro­pa- wahl in Erin­ne­rung, das zu einem gro­ßen Teil auf eine schwa­che Umwelt­po­li­tik zurück­zu­füh­ren war. Zu ein­deu­tig sagen die Demo­sko­pen, dass Kli­ma­schutz auch in der Pan­de­mie wei­ter­hin unter den wich­tigs­ten The­men bei den Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler rangiert.

Die­ser Tage sehen wir, wel­che Wucht unter­las­se­ner Kli­ma- schutz ent­wi­ckelt. Stark­re­gen, wie ihn der Kli­ma­wan­del häu­fi- ger wer­den lässt, ver­wan­delt plät­schern­de Bäche in kür­zes­ter Zeit in rei­ßen­de Strö­me, die gan­ze Orts­tei­le aus­ra­die­ren und Exis­ten­zen zer­stö­ren. Deut­sche Mit­tel­ge­birgs­tä­ler ver­wan­deln sich in Minu­ten­schnel­le in Todes­fal­len. Tau­sen­de Men­schen ver­lie­ren Hab und Gut, viel zu vie­le ihr Leben. Kei­ne drei Mona- te vor der Wahl zeigt die Kli­ma­kri­se ihre bedroh­li­che Kraft. Die scho­ckie­ren­den Bil­der aus Nord­rhein-West­fa­len und Rhein- land-Pfalz ver­deut­li­chen jeder und jedem: Unse­re Lebens- grund­la­gen zu schüt­zen ist kei­ne Soli­da­ri­täts­be­kun­dung für weit ent­fern­te Welt­re­gio­nen, son­dern Pflicht­auf­ga­be für alle, die auch in Zukunft halb­wegs unver­sehrt zwi­schen Flens­burg und Gar­misch leben wol­len. Die Kli­ma­flut hat nicht nur Exis­ten­zen und Leben zer­stört, son­dern auch ohne­hin halt­lo­se Argu­men­ten der Kli­ma­brem­ser pul­ve­ri­siert. Wer jetzt noch argu­men­tiert, ambi­tio­nier­ter Kli­ma­schutz dür­fe nicht zu teu­er sein, wer jetzt noch warnt, zu viel Kli­ma­schutz gefähr­de und über­for­de­re die deut­sche Volks­wirt­schaft, wird mit die­sen Ein­wän­den kaum noch jeman­den über­zeu­gen können.

Die Kli­ma­kri­se ist da – in Deutsch­land und im Wahl­kampf. Noch wäh­rend das Was­ser in den Gas­sen steht ist jedem Beob­ach­ter klar: die­se Wahl wird eine Klimawahl.

Aber war­um müs­sen erst töd­li­che Sturz­bä­che durch die Städ­te und Dör­fer rau­schen, um der größ­ten Bedro­hung der Mensch- heit einen der Dra­ma­tik ange­mes­se­nen Platz im Wahl­kampf zu verschaffen?

War­um muss das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die gro­ße Koali­ti- on erst per Beschluss dazu ver­don­nern, damit die­se das Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men ernst­haft umsetzt?

Deut­sche Kli­ma­po­li­tik: Inter­na­tio­nal hui, zuhau­se pfui

Kaum jemand bestrei­tet die wich­ti­ge Rol­le, die Ange­la Mer­kel auf inter­na­tio­na­ler Büh­ne für den Kli­ma­schutz gespielt hat.
Sie hat maß­geb­lich zum Zustan­de­kom­men des Pari­ser Abkom- mens bei­getra­gen, öffent­lich wie­der­holt auf die Dring­lich­keit der Her­aus­for­de­rung hin­ge­wie­sen und regel­mä­ßig mehr Tem­po und Ambi­ti­on ange­mahnt. Als pro­mo­vier­te Phy­si­ke­rin sind

der Kanz­le­rin die Pro­zes­se und Abläu­fe des Kli­ma­wan­dels näher als den meis­ten ande­ren Staats- und Regie­rungs­chefs. Doch die hei­mi­sche Kli­ma­bi­lanz der ver­gan­ge­nen Jah­re ist durch­wach­sen. Ein Groß­teil der erreich­ten CO2-Reduk­ti­on geht auf das Kon­to der zusam­men­ge­bro­che­nen Schwer­indus­trie Ost­deutsch­lands nach der Wen­de. Ohne die­sen Son­der­ef­fekt wäre die deut­sche Kli­ma­bi­lanz bis heu­te schlicht desaströs.

Ihr selbst gesteck­tes Kli­ma­ziel für das Jahr 2020 hat die Bun- des­re­gie­rung allei­ne durch die glo­ba­le Pan­de­mie erreicht. Ohne die Maß­nah­men gegen Covid-19 und deren unmit­tel­ba­re Fol­gen etwa für das Wirt­schafts­le­ben und die Mobi­li­tät der Men­schen hät­te die Regie­rung die­ses Ziel laut Ana­ly­se des eige­nen Kli­ma- rats deut­lich verfehlt1. Es wäre ein wei­te­res ver­pass­tes Ziel in einer lan­ge Rei­he gewe­sen. Denn seit die Regie­rung Hel­mut Kohls im Jahr 1990 ein ers­tes natio­na­les Kli­ma­ziel beschlos­sen hat, hat die Bun­des­re­gie­rung jedes die­ser Zie­le verpasst.

Wie­so tut sich die Regie­rungs­ko­ali­ti­on beim Kli­ma­schutz so schwer, wo doch die Fol­gen der Kli­ma­kri­se längst auch in Deutsch­land unüber­seh­bar sind und nur noch weni­ge Jah­re blei­ben, um die schlimms­ten Aus­wir­kun­gen abzu­wen­den? Wie­so bleibt das Aus­bau­tem­po der Erneu­er­ba­ren Ener­gien mei­len­weit hin­ter dem zurück, was selbst zum Errei­chen der schon wie­der über­hol­ten Zie­le für 2030 nötig wäre? Wie­so lag der CO2-Aus­stoß im Ver­kehr 2019 noch genau­so hoch wie 1990? War­um wer­den die kli­mä­schäd­lichs­ten Braun­koh­le­kraft- wer­ke nicht längst still­ge­legt oder wenigs­tens gedrosselt?

Wer den kli­ma­po­li­ti­schen Reform­stau der Bun­des­re­gie­rung ver­ste­hen will, muss sich ein­ge­hend mit den drei Par­tei­en be- schäf­ti­gen, die die Bun­des­re­gie­rung der ver­gan­ge­nen Jahre

gebil­det haben. Dabei zeigt sich, dass Sozi­al­de­mo­kra­ten und Uni­ons­par­tei­en beim Kli­ma­schutz von grund­ver­schie­de­nen Aus­gangs­po­si­tio­nen in die kom­men­de Bun­des­tags­wahl starten.

Die SPD: Vom Koh­le-Joch befreit?

Lan­ge Jah­re wur­den die Sozi­al­de­mo­kra­ten förm­lich zer­ris­sen zwi­schen ihrem Anspruch, auch in der Umwelt­po­li­tik Fort- schritts­par­tei zu sein und par­tei­in­ter­nen Behar­rungs­kräf­ten, die ihren sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Auf­trag in falsch ver­stan­de­ner Für­sor­ge als Ret­tungs­mis­si­on für aus der Zeit gefal­le­ne In- dus­trie- und Berg­bau­ar­beits­plät­ze inter­pre­tier­ten. Trotz des Labels „Koh­le­par­tei“ bestand die Sozi­al­de­mo­kra­tie schon lan­ge auch aus einem — mal mehr, mal weni­ger wirk­mäch­ti­gen – Umwelt­flü­gel. Die­ser hat nicht weni­ge Vor­den­ker der deut­schen Umwelt­po­li­tik her­vor­ge­bracht: Ernst-Ulrich von Weiz­sä­cker, Her­mann Scheer, Micha­el Mül­ler und vie­le wei­te­re. Ihnen gegen­über stan­den aber ein­fluss­rei­che Sozi­al­de­mo­kra­ten wie etwa Sig­mar Gabri­el oder zuvor Ger­hard Schrö­der, die sich kaum ent­schei­den konn­ten zwi­schen einer zukunfts­ge­rich­te­ten „öko­lo­gi­schen Indus­trie­po­li­tik“, die auch den Abschied von alten Struk­tu­ren und Wirt­schafts­wei­sen beinhal­tet und einer Nibe­lun­gen­treue zu Kon­zern­ver­tre­tern und Gewerk­schaf­tern, die in Trans­for­ma­ti­on mehr Gefahr als Chan­ce sehen, die

lie­ber ver­har­ren statt zu gestalten.

Trotz die­ser Zer­ris­sen­heit stand die SPD in der aus­lau­fen­den Legis­la­tur der Gro­ßen Koali­ti­on noch am ehes­ten für mehr Kli­ma­schutz. Schon bei den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen 2018 for­der­te die SPD ein Kli­ma­schutz­ge­setz, einen natio­na­len CO2-Preis und die Ein­rich­tung einer Koh­le-Kom­mis­si­on. Alle drei Maß­nah­men lan­de­ten gegen den Wider­stand von CDU/ CSU im Koali­ti­ons­ver­trag. Auch Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rin Sven­ja Schul­ze müht sich red­lich, ihre Kolleg:innen am Kabi- netts­tisch zu mehr Kli­ma­schutz zu trei­ben. Von den SPD- geführ­ten Nord­län­dern Bre­men, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Ham­burg und Nie­der­sach­sen kom­men immer wie­der bun­des- poli­ti­sche Impul­se für den Aus­bau der Wind­kraft. Zur Wahr­heit gehört aber auch, dass die SPD den Koh­le­aus­stieg hin­aus­ge­zö­gert hat. Das spä­te Aus­stiegs­da­tum 2038 trägt auch eine sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Handschrift.

Mit dem nun­mehr beschlos­se­nen Koh­le­aus­stieg ist der viel- leicht größ­te Brems­klotz in der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Kli­ma- poli­tik gelöst. Inner­par­tei­lich hat die SPD wie kei­ne ande­re Par­tei von der Lösung der Koh­le­fra­ge pro­fi­tiert, da sie durch den Aus­stieg ihren schwe­len­den inne­ren Kon­flikt befrie­den und sich umwelt­po­li­tisch neu auf­stel­len konnte.

Die Fol­gen der befrei­ten SPD wer­den bereits sicht­bar. Das dies- jäh­ri­ge Wahl­pro­gramm liest sich kli­ma­po­li­tisch erstaun­lich fort- schritt­lich. Der Trans­for­ma­ti­ons­druck vie­ler Bran­chen wird aner- kannt und eine sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Ant­wort ver­sucht, ohne all­zu vie­le der frü­he­ren Ver­ren­kun­gen und Wider­sprü­che aufzuwerfen.

Wie stand­haft die Sozi­al­de­mo­kra­tie in ihrer schmerz­haft voll- zoge­nen öko­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung bleibt, wird vor allem die Debat­te zum Kli­ma­schutz im Ver­kehr zei­gen. In die­sem Sek­tor – mit seit 1990 sta­gnie­ren­dem CO2-Aus­stoß – liegt Po- ten­zi­al für eine neu­er­lich irr­lich­tern­de SPD. Schließ­lich geht es um nicht weni­ger als die Neu­erfin­dung der Auto­in­dus­trie mit hun­dert­tau­sen­den Arbeits­plät­zen und einem hohem gewerk- schaft­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­grad. Die Füh­rungs­zir­kel und Lob­by- grup­pen der Indus­trie strei­ten wei­ter um die rich­ti­ge Ant­wort auf den sich beschleu­ni­gen­den Abschied vom Öl und dem Ver- bren­nungs­mo­tor. Es hält sich bei eini­gen noch immer die irri­ge Hoff­nung, die alten, unbrauch­bar gewor­de­nen Kom­pe­ten­zen und Tech­no­lo­gien in die neue Zeit zu ret­ten. Die Trans­for­ma- tion die­ser Schlüs­sel­bran­che birgt für die SPD die Gefahr, sich erneut zu ver­hed­dern und den müh­sam befrie­de­ten Kon­flikt zwi­schen Wirt­schaft und Umwelt erneut auf­flam­men zu las- sen. Ein ent­schei­den­der Vor­teil für die SPD dürf­te sein, dass sich die maß­geb­li­che Gewerk­schaft der Bran­che, die IG Metall, bis­lang kon­struk­ti­ver und ver­än­de­rungs­be­rei­ter zeigt, als es

die in der Koh­le­fra­ge domi­nie­ren­de IG BCE je war.

Auch die neue, kli­ma­be­weg­te SPD ist nicht frei von Wider- sprü­chen. Als die Gas­pipe­line Nord Stream 2 durch den An- schlag auf Ale­xej Nawal­ny im ver­gan­ge­nen Jahr poli­tisch auf der Kip­pe stand, sprang Manue­la Schwe­sig in die Bre­sche.
Die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Minis­ter­prä­si­den­tin Meck­len­burg- Vor­pom­merns, dem Bun­des­land, in dem die Pipe­line ankom- men soll, preist das Erd­gas aus Russ­land als nöti­ge „Brü­cken- tech­no­lo­gie“- und als Alter­na­ti­ve zu Frack­ing-Gas aus den USA. Gleich­zei­tig bot SPD-Vize­kanz­ler Olaf Scholz den USA Mil­li­ar- den­in­ves­ti­tio­nen in Import­ter­mi­nals für LNG-Flüs­sig­gas an, wenn sie auf Sank­tio­nen gegen Nord Stream 2 verzichten.

Die geplan­ten LNG-Ter­mi­nals in Nord­deutsch­land wür­den den USA ver­mehr­te Expor­te von Frack­ing-Gas ermög­li­chen. Doch für die Deckung des hie­si­gen Ener­gie­be­darfs wer­den weder Pipe­line noch LNG-Ter­mi­nals benö­tigt. Mehr noch: Das gelie- fer­te fos­si­le Gas wür­de das Errei­chen der deut­schen Kli­ma­zie­le nahe­zu unmög­lich machen.

Die Uni­on: Aus „Rezo“ und Euro­pa­wahl nichts gelernt?

Die Uni­on führt seit ein­ein­halb Deka­den die Bun­des­re­gie­rung an, ent­sen­det die meis­ten Minister:innen an den Kabi­netts­tisch und stellt durch­ge­hend die größ­te Bun­des­tags­frak­ti­on. Kurz: Seit 15 Jah­ren ist die Uni­on die poli­tisch mäch­tigs­te und ein- fluss­reichs­te Par­tei­en­fa­mi­lie des Lan­des. Zwar hat Bun­des­kanz- lerin Ange­la Mer­kel den Kli­ma­schutz auf inter­na­tio­na­ler Büh­ne auf die Agen­da gesetzt, vie­le Jah­re Deutsch­land als Vorreiter

im inter­na­tio­na­len Kli­ma­schutz posi­tio­niert und sich selbst als Kli­ma­kanz­le­rin insze­niert – zuhau­se in Deutsch­land jedoch leuch­tet der kli­ma­po­li­ti­sche Stern eher blass denn hell. Die Uni­on zeigt ein erheb­li­ches Miss­ver­hält­nis zwi­schen dem Set- zen von mit­tel- und lang­fris­ti­gen Zie­len und schnell wirk­sa­mer poli­ti­scher Maß­nah­me, um die­se zu errei­chen. Als zentraler

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Brems­klotz der deut­schen Kli­ma­po­li­tik blo­ckiert die Uni­on bis­lang kon­se­quent alle wirk­sa­men Schrit­te zum Ein­spa­ren von CO2: einen schnel­len Aus­stieg aus der Koh­le, den Aus­bau von Wind- und Solar­ener­gie, den Abbau kli­ma­schäd­li­cher Sub­ven­ti- onen oder Maß­nah­men zur Sen­kung von Emis­sio­nen im Ge- bäu­de­sek­tor, im Ver­kehr oder der Land­wirt­schaft. Erklärt wird die­se Blo­cka­de zumeist mit dem Ein­wand, Kli­ma­schutz müs­se ohne Vor­ga­ben und Ver­bo­te, näm­lich ‚markt­ge­recht‘ orga­ni­siert wer­den. Die­sen Poli­tik­an­satz hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt Ende April 2021 für zu wenig wirk­sam erklärt, eben weil es kla­re staat­li­che Vor­ga­ben brau­che, um die Frei­heits­rech­te nach- fol­gen­der Gene­ra­tio­nen zu sichern.

Auch CSU-Chef Mar­kus Söder hat zumin­dest rhe­to­risch aner- kannt, dass sich Wah­len mit einer Kli­ma­po­li­tik zulas­ten der jün- geren Gene­ra­tio­nen nicht mehr gewin­nen las­sen. „Es reicht nicht, Umwelt­schutz nur als Deko zu machen“, hat er sei­ne Par­tei mit Blick auf sei­nen Kon­kur­ren­ten um die Kanz­ler­kan­di­da­tur, Armin Laschet, zu einem straf­fe­ren Kli­ma­kurs ermahnt.2 Doch auch Söders Kli­ma­schutz­po­li­tik in Bay­ern ist bis­lang bes­ten­falls blass- grün: Das baye­ri­sche Kli­ma­ge­setz gilt vie­len Klimaschützer:innen als unam­bi­tio­niert, an den äußerst restrik­ti­ven Abstands­re­geln für die Wind­ener­gie will Söder trotz Kri­tik des Koali­ti­onspart- ners fest­hal­ten, Ver­bren­nungs­mo­to­ren will der CSU-Chef noch bis 2035 vom Band rol­len las­sen und selbst danach mit inef­fi­zi- enten syn­the­ti­schen Kraft­stof­fen betan­ken lassen.3

Dabei bringt die Uni­on mit ihrem Mar­ken­kern der Christ­lich- keit bes­te Vor­aus­set­zun­gen für eine ambi­tio­nier­te Kli­ma­po­li­tik mit. Im CDU-Grund­satz­pro­gramm aus dem Jahr 2007 heißt es in der Prä­am­bel: „Nach christ­li­chem Ver­ständ­nis sind Mensch, Natur und Umwelt Schöp­fung Got­tes. Sie zu schüt­zen, ist unser Auf­trag. Wir wol­len unse­ren Nach­kom­men eine Welt bewah­ren und hin­ter­las­sen, die auch mor­gen noch lebens­wert ist.

Die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen haben ein Recht auf wirt- schaft­li­che Ent­wick­lung, sozia­len Wohl­stand und eine intak­te Umwelt.“4 Trotz die­ses christ­li­chen Über­baus fin­det die Uni­on kei­nen Weg, ihre Grund­wer­te in eine zeit­ge­mä­ße Kli­ma­po­li­tik zu über­set­zen. Denn noch immer steht der kon­se­quen­ten Be- wah­rung der Schöp­fung oft­mals der zwei­te Mar­ken­kern der Uni­on im Weg: die Nähe zu bestimm­ten Tei­len der Wirt­schaft. Die in der Schöp­fungs­be­wah­rung ange­leg­te Öko­lo­gie ver­kommt so zum Lip­pen­be­kennt­nis. In der Tages­po­li­tik wird sie den kurz­fris­ti­gen Gewinn­in­ter­es­sen einer knall­har­ten Kli­en­tel­po­li- tik unter­ge­ord­net. Hin­ter jeder nöti­gen Kli­ma­schutz-Maß­nah­me machen Unionspolitiker:innen eine zu schüt­zen­de Kli­en­tel aus, wegen der man sol­che Schrit­te lie­ber unter­lässt. Sei es ein Vor- zie­hen des Koh­le­aus­stiegs auf das Jahr 2030, ein Ende des Ver- bren­nungs­mo­tors, die Abkehr von der Mas­sen­tier­hal­tung oder ein mas­siv beschleu­nig­ter Aus­bau der Erneu­er­ba­ren Energien.

Dabei hat­te die Par­tei das ver­meint­li­che Dilem­ma zwi­schen Öko­no­mie und Öko­lo­gie schon 1994 gelöst, zumin­dest auf dem Papier. Im dama­li­gen Grund­satz­pro­gramm heißt es: „Unse­re Ver­ant­wor­tung für die Schöp­fung muß auch unser wirt­schaft- liches Han­deln leiten“5. Im glei­chen Jahr ließ die Regie­rung Hel­mut Kohl den Umwelt­schutz als Staats­ziel im Grund­ge­setz ver­an­kern. „Der Staat schützt auch in Ver­ant­wor­tung für die künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen die natür­li­chen Lebens­grund­la­gen“, heißt es seit­her in Arti­kel 20a. Erst das Ver­fas­sungs­ge­richt muss­te die Regie­rung Ende April 2021 dar­an erin­nern, dass es mit der For­mu­lie­rung allei­ne nicht getan ist.

Dass Umwelt- und Kli­ma­schutz für die CDU all­zu oft zur Wort­hül­se ver­kommt, liegt auch am Per­so­nal­ta­bleau: Wäh­rend in ande­ren Par­tei­en Umwelt- und Wirt­schafts­po­li­ti­ker um
eine gemein­sa­me Posi­ti­on rin­gen, hat die Uni­ons­frak­ti­on im Bun­des­tag die Kli­ma­po­li­tik fast kom­plett in die Hän­de des Wirt­schafts­flü­gels gelegt. Alle kli­ma­po­li­tisch wich­ti­gen Pos­ten in der Frak­ti­on waren bis vor kur­zem von die­sem Flü­gel besetzt. Der sieht sei­ne Auf­ga­be im Wesent­li­chen dar­in, kli­ma­freund­li­che Posi­tio­nen zu schlei­fen oder am bes­ten
ganz zu ver­hin­dern. Es sind jene Wirt­schafts­li­be­ra­le, die im Kli­ma­schutz vor allem Wett­be­werbs­nach­tei­le sehen, solan­ge nicht alle Staa­ten Euro­pas, bes­ser noch der gan­zen Welt,
exakt die glei­chen Maß­nah­men umset­zen. Der Staat sol­le zudem mög­lichst wenig Regeln auf­stel­len und bes­ser dort groß­zü­gig Steu­er­mil­li­ar­den ver­tei­len, wo ein­zel­nen Indus­trien hohe Gewin­ne win­ken: bei den Ent­schä­di­gun­gen der Kraft- werks­be­trei­ber, bei Abwrack­prä­mi­en für die Auto­in­dus­trie, beim Was­ser­stoff oder bei syn­the­ti­schen Kraft­stof­fen. Die Uni­on betreibt, kurz­ge­fasst, eine knall­har­te Kli­en­tel­po­li­tik für alte Indus­trien der Bun­des­re­pu­blik mit ihren nicht mehr in
die Zeit pas­sen­den Tech­no­lo­gien und Geschäfts­mo­del­len. Kaum hin­ge­gen inter­es­siert sich die Uni­on für die Indus­trie- unter­neh­men der Zukunft. Sie gel­ten als Kli­en­tel der ‚Grü­nen‘. Den tech­no­lo­gi­schen Vor­sprung, die früh­zei­ti­ge Beset­zung von Zukunfts­märk­ten, die Export­chan­cen von Umwelt­tech­no- logien – all die­se Vor­tei­le für Unter­neh­men eines Kli­ma­vor- rei­ter-Staa­tes sehen Uni­ons­po­li­ti­ker schein­bar nicht – oder hal­ten sie für weni­ger wich­tig als kurz­fris­ti­ge Interessen.

Die Uni­on ist weni­ger die Par­tei mit der höchs­ten Wirt­schafts- kom­pe­tenz, son­dern viel­mehr der Schutz­pa­tron der alten Indus- trie, die es ver­meint­lich vor der kom­men­den Trans­for­ma­ti­on
zu schüt­zen gel­te. Die­se Form der Wirt­schafts­po­li­tik schaut nicht vor­aus. Die Fixie­rung auf kurz­fris­ti­ge Inter­es­sen ein­zel­ner Indus­trien lässt die Uni­on ver­ken­nen, dass die­se oft in deut­li- chem Kon­trast zu den lang­fris­ti­gen Inter­es­sen des Wirt­schafts- stand­orts ste­hen. Wäh­rend die Uni­on kaum einen Blick auf die Arbeits­plät­ze und Wert­schöp­fungs­po­ten­zia­le der neu­en, klima-page6image2793793504

ver­träg­li­chen Indus­trien wie etwa der Solar- oder Wind­ener­gie- Bran­che wirft, über­be­tont sie die Bedeu­tung von Unter­neh­men, deren Pro­duk­te und Geschäfts­mo­del­le ver­al­tet sind und die
sich für eine CO2-neu­tra­le Wirt­schaft mas­siv trans­for­mie­ren müs­sen. Die­se Wirt­schafts­po­li­tik durch den Rück­spie­gel bremst auf fata­le Wei­se die nöti­ge wirt­schaft­li­che Modernisierung

und nimmt den­je­ni­gen Unter­neh­men Pla­nungs­si­cher­heit, die bereits jetzt in neue Tech­no­lo­gien inves­tie­ren. Auch des­halb ver­liert die kli­ma­po­li­ti­sche Ambi­va­lenz der Uni­on, rhe­to­risch ver­klei­det als Poli­tik mit „Maß und Mit­te“, zuneh­mend an Rück­halt in der Wirt­schaft. Inzwi­schen über­ho­len vie­le Unter- neh­men die Uni­on in ihrer rück­wärts­ge­wand­ten Kli­ma­po­si­ti­on. Es sind Kon­zern­chefs, die einen höhe­ren CO2-Preis, einen schnel­le­ren Aus­bau der Erneu­er­ba­ren Ener­gien und einen frü­he­ren Koh­le­aus­stieg for­dern. Sie wis­sen, dass Kli­ma­po­li­tik auch eine Ent­schei­dung im Ren­nen um die Spitzenposition

Umso wich­ti­ger wäre eine per­so­nel­le Neu­auf­stel­lung der Uni­on in der Kli­ma­po­li­tik, zumal die Zei­ten dafür gera­de güns­tig wären. Von den zustän­di­gen Fachpolitiker:innen sind vie­le im Kor­rup­ti­ons­skan­dal ver­strickt, der die Uni­on seit dem Früh­jahr 2021 erschüt­tert. Mas­ken­ge­schäf­te, auf­fäl­li­ge Neben­tä­tig­kei­ten und Gefäl­lig­kei­ten für den Ölstaat Aser­bai­dschan gehö­ren ins Reper­toire von Abge­ord­ne­ten wie Georg Nüß­lein (CSU), Joa­chim Pfeif­fer (CDU), Tho­mas Bareiß (CDU) und Axel Fischer (CDU). Sie ord­nen sich dem kon­ser­va­ti­ven Flü­gel zu, ticken „fos­sil“ und gehö­ren seit Jah­ren zu den wesent­li­chen Brem­sern bei Ener­gie­wen­de und Kli­ma­schutz. Nüß­lein, Pfeif­fer und Fischer wer­den dem neu­en Bun­des­tag nicht mehr ange­hö­ren. Gleich­zei­tig ver­liert die CDU mit Ange­la Mer­kel – trotz der offen­kun­di­gen Dis­kre­panz zwi­schen ambi­tio­nier­ter inter­na- tio­na­ler Kli­mar­he­to­rik und äußerst lücken­haf­ter Kli­ma­po­li­tik hier­zu­lan­de – eine wich­ti­ge Trieb­kraft für den Klimaschutz.

Ob den Uni­ons­par­tei­en ohne einen Teil der Kli­ma­schutz- blo­ckie­rer ein kli­ma­po­li­ti­scher Auf­bruch unter dem neu­en Par­tei­vor­sit­zen­den Armin Laschet gelingt, ist der­zeit völ­lig unge­wiss – aller­dings deu­tet bis­lang wenig dar­auf hin. Das Wahl­pro­gramm der Uni­ons­par­tei­en hat kli­ma­po­li­tisch selbst nied­ri­ge Erwar­tun­gen ent­täuscht. Es beschränkt sich weit- gehend auf fer­ne Ziel­set­zun­gen und die vage Hoff­nun­gen auf markt­wirt­schaft­li­che Instru­men­te. Inmit­ten der Kli­ma­kri­se erscheint ein solch unam­bi­tio­nier­tes Wahl­pro­gramm als ris- kan­tes Manö­ver. Ob die Uni­ons­par­tei­en ange­sichts der Flut- kata­stro­phe mit die­sem Pro­gramm im Wahl­kampf bestehen kön­nen, bleibt abzu­war­ten. Gewarnt dürf­te die Par­tei sein: bereits bei der Euro­pa­wahl 2019 über­setz­te sich die Leer­stel­le der Uni­on beim Kli­ma­schutz und das feh­len­de Ver­ständ­nis für eine vor­aus­pla­nen­de Wirt­schafts­po­li­tik in mas­si­ve Stim- men­ver­lus­te. Seit­dem hat die Par­tei immer wie­der Anläu­fe genom­men, die­se Leer­stel­le zu schlie­ßen. Doch kei­ner die­ser Ver­su­che war bis­lang von sicht­ba­rem Erfolg gekrönt.

Der für die Ener­gie­po­li­tik zustän­di­ge Wirt­schafts­mi­nis­ter Peter Alt­mai­er leg­te im Sep­tem­ber 2020 einen 20-Punk­te-Plan für mehr Kli­ma­schutz vor. Eini­ge sei­ner Vor­schlä­ge lie­ßen auch Umwelt­ver­bän­de auf­hor­chen, war der Minis­ter zuvor doch vor­nehm­lich als Brem­ser beim Kli­ma­schutz auf­ge­fal­len. Doch nichts von die­sem Plan, den Alt­mai­er schein­bar ohne par­tei- und regie­rungs­in­ter­ne Abspra­che im Allein­gang vor­leg­te, wur- de seit­dem in kon­kre­te Poli­tik übersetzt.

Zuletzt tauch­ten neue Grup­pie­run­gen mit öko­lo­gi­schem Schwer- punkt in der Uni­on auf, mal hie­ßen die­se „Schwar­ze Null“,
mal „Kli­ma-Uni­on“. Gemein­sam war die­sen Initia­ti­ven die weit- gehen­de Abwe­sen­heit von zustän­di­gen Fachpolitiker:innen und die Fer­ne zur Par­tei­spit­ze. Sie wur­den in den Nie­de­run­gen der Par­tei von zumeist Fach­frem­den erson­nen. So ehren­wert und not­wen­dig sol­che par­tei­in­ter­nen Vor­stö­ße sind, sie wir­ken ange- sichts ihres Gras­wur­zel­cha­rak­ters inmit­ten einer so straff und hier­ar­chisch orga­ni­sier­ten Par­tei wie eine Panik­re­ak­ti­on der weni­gen Kli­ma­be­weg­ten oder weit­sich­ti­ge­ren Stra­te­gen, die die offe­ne Flan­ke einer öko­lo­gi­schen Sub­stanz­lo­sig­keit vor der an- ste­hen­den Bun­des­tags­wahl zu schlie­ßen ver­su­chen. Nen­nens- wer­te Vor­stö­ße zur Reno­vie­rung der eige­nen Kli­ma­pro­gram­ma- tik sind dage­gen aus den obe­ren Eta­gen der Par­tei­ka­der nicht aus­ge­gan­gen – sieht man von Söders grü­ner Rhe­to­rik mal ab.

Und so düm­pelt die Par­tei ohne kla­re the­ma­ti­sche und per­so- nel­le Aus­rich­tung durch die kli­ma­po­li­ti­sche Debat­te des Wahl- kamp­fes. Ob Söders Ergrü­nungs­kurs sich in rea­ler Poli­tik nie- der­schlägt, ist völ­lig offen. Ange­sichts sei­nes Fest­hal­tens an rigi­den Abstands­re­geln für Wind­rä­der sind Zwei­fel ange­bracht. Ob Armin Laschet die dis­kur­si­ve Wucht der Kli­ma­flut in Gän­ze ver­stan­den hat, erscheint frag­lich. In einem der ers­ten Inter- views nach der Hoch­was­ser-Kata­stro­phe blafft er die Jour­na­lis- tin an: „Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Poli­tik.“ Ein Satz, der Laschet im Wahl­kampf noch wie ein Mühl­stein um den Hals hän­gen dürf­te. Bis­lang bemüh­te Laschet auf­fäl­lig oft das Bild von der not­wen­di­gen Ver­söh­nung von Öko­lo­gie und Öko­no­mie – eine Argu­men­ta­ti­on, die ange­sichts der Mil­li- arden­schä­den und des Leids kaum noch tra­gen dürf­te. Auch sei­ne bis­he­ri­ge Ableh­nung fast aller wirk­sa­men Maß­nah­men beim Kli­ma­schutz – wie einen schnel­le­ren Koh­le­aus­stieg oder das Ende der Sub­ven­tio­nen für Flug­ben­zin – dürf­te kaum zu hal­ten sein6. Laschets Kli­ma­kurs, der sich bis­lang als Remi­nis- zenz an den CDU-Wirt­schafts­flü­gel las, auf des­sen Unter­stüt- zung Laschet nach sei­ner holp­ri­gen Ernen­nung zum Kanz­ler- kan­di­da­ten ange­wie­sen ist, wird in den ver­blei­ben­den Wochen des Wahl­kamp­fes einen schwe­ren Stand haben. Was die deut- sche Ver­fas­sung von die­sem Kli­ma­kurs hält, ist inzwi­schen bekannt, was die Wähler:innen ange­sichts der mas­si­ven Flut- schä­den davon hal­ten, wis­sen wir erst im Herbst die­sen Jahres.

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