Klimaschutzgesetz

Ver­fas­sungs­be­schwer­den gegen das Kli­ma­schutz­ge­setz teil­wei­se erfolg­reich
Pres­se­mit­tei­lung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021

Beschluss vom 24. März 2021
1 BvR 2656/18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20
Mit heu­te ver­öf­fent­lich­tem Beschluss hat der Ers­te Senat des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ent­schie­den, dass die Rege­lun­gen des Kli­ma­schutz­ge­set­zes vom 12. Dezem­ber 2019 (Kli­ma­schutz­ge­setz ) über die natio­na­len Kli­ma­schutz­zie­le und die bis zum Jahr 2030 zuläs­si­gen Jah­res­e­mis­si­ons­men­gen inso­fern mit Grund­rech­ten unver­ein­bar sind, als hin­rei­chen­de Maß­ga­ben für die wei­te­re Emis­si­ons­re­duk­ti­on ab dem Jahr 2031 feh­len. Im Übri­gen wur­den die Ver­fas­sungs­be­schwer­den zurückgewiesen.

Das Kli­ma­schutz­ge­setz ver­pflich­tet dazu, die Treib­haus­gas­emis­sio­nen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegen­über 1990 zu min­dern und legt durch sek­to­ren­be­zo­ge­ne Jah­res­e­mis­si­ons­men­gen die bis dahin gel­ten­den Reduk­ti­ons­pfa­de fest (§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2). Zwar kann nicht fest­ge­stellt wer­den, dass der Gesetz­ge­ber mit die­sen Bestim­mun­gen gegen sei­ne grund­recht­li­chen Schutz­pflich­ten, die Beschwer­de­füh­ren­den vor den Gefah­ren des Kli­ma­wan­dels zu schüt­zen, oder gegen das Kli­ma­schutz­ge­bot des Art. 20a GG ver­sto­ßen hat. Die zum Teil noch sehr jun­gen Beschwer­de­füh­ren­den sind durch die ange­grif­fe­nen Bestim­mun­gen aber in ihren Frei­heits­rech­ten ver­letzt. Die Vor­schrif­ten ver­schie­ben hohe Emis­si­ons­min­de­rungs­las­ten unum­kehr­bar auf Zeit­räu­me nach 2030. Dass Treib­haus­gas­emis­sio­nen gemin­dert wer­den müs­sen, folgt auch aus dem Grund­ge­setz. Das ver­fas­sungs­recht­li­che Kli­ma­schutz­ziel des Art. 20a GG ist dahin­ge­hend kon­kre­ti­siert, den Anstieg der glo­ba­len Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur dem soge­nann­ten „Paris-Ziel“ ent­spre­chend auf deut­lich unter 2 °C und mög­lichst auf 1,5 °C gegen­über dem vor­in­dus­tri­el­len Niveau zu begren­zen. Um das zu errei­chen, müs­sen die nach 2030 noch erfor­der­li­chen Min­de­run­gen dann immer drin­gen­der und kurz­fris­ti­ger erbracht wer­den. Von die­sen künf­ti­gen Emis­si­ons­min­de­rungs­pflich­ten ist prak­tisch jeg­li­che Frei­heit poten­zi­ell betrof­fen, weil noch nahe­zu alle Berei­che mensch­li­chen Lebens mit der Emis­si­on von Treib­haus­ga­sen ver­bun­den und damit nach 2030 von dras­ti­schen Ein­schrän­kun­gen bedroht sind. Der Gesetz­ge­ber hät­te daher zur Wah­rung grund­recht­lich gesi­cher­ter Frei­heit Vor­keh­run­gen tref­fen müs­sen, um die­se hohen Las­ten abzu­mil­dern. Zu dem danach gebo­te­nen recht­zei­ti­gen Über­gang zu Kli­ma­neu­tra­li­tät rei­chen die gesetz­li­chen Maß­ga­ben für die Fort­schrei­bung des Reduk­ti­ons­pfads der Treib­haus­gas­emis­sio­nen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetz­ge­ber ist ver­pflich­tet, die Fort­schrei­bung der Min­de­rungs­zie­le der Treib­haus­gas­emis­sio­nen für Zeit­räu­me nach 2030 bis zum 31. Dezem­ber 2022 näher zu regeln.

Sach­ver­halt:

Das Kli­ma­schutz­ge­setz reagiert auf die vom Gesetz­ge­ber gese­he­ne Not­wen­dig­keit ver­stärk­ter Kli­ma­schutz­an­stren­gun­gen und soll vor den Aus­wir­kun­gen des welt­wei­ten Kli­ma­wan­dels schüt­zen (§ 1 Satz 1 KSG). Grund­la­gen sind nach § 1 Satz 3 KSG zum einen die Ver­pflich­tung nach dem am 4. Novem­ber 2016 in Kraft getre­te­nen Über­ein­kom­men von Paris, wonach der Anstieg der glo­ba­len Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur auf deut­lich unter 2 °C und mög­lichst auf 1,5 °C gegen­über dem vor­in­dus­tri­el­len Niveau zu begren­zen ist, sowie zum ande­ren das Bekennt­nis der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Treib­haus­gas­neu­tra­li­tät bis 2050 als lang­fris­ti­ges Ziel zu ver­fol­gen. Nach § 3 Abs. 1 KSG wer­den die Treib­haus­gas­emis­sio­nen bis zum Ziel­jahr 2030 im Ver­gleich zum Jahr 1990 schritt­wei­se um min­des­tens 55 % gemin­dert. In § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 sind die der Min­de­rungs­quo­te für das Ziel­jahr 2030 ent­spre­chen­den zuläs­si­gen Jah­res­e­mis­si­ons­men­gen in ver­schie­de­nen Sek­to­ren gere­gelt. Eine Rege­lung über 2030 hin­aus ent­hält das Gesetz nicht. Viel­mehr legt nach § 4 Abs. 6 KSG die Bun­des­re­gie­rung im Jahr 2025 für wei­te­re Zeit­räu­me nach dem Jahr 2030 jähr­lich absin­ken­de Emis­si­ons­men­gen durch Rechts­ver­ord­nung fest.

Mit ihren Ver­fas­sungs­be­schwer­den machen die Beschwer­de­füh­ren­den vor allem gel­tend, der Staat habe mit § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 kei­ne aus­rei­chen­den Rege­lun­gen zur als­bal­di­gen Reduk­ti­on von Treib­haus­ga­sen, vor allem von Koh­len­di­oxid (CO2), unter­nom­men, die aber erfor­der­lich sei­en, um die Erwär­mung der Erde bei 1,5 °C oder wenigs­tens bei deut­lich unter 2 °C anzu­hal­ten. Dies sei not­wen­dig, weil bei einem Tem­pe­ra­tur­an­stieg um mehr als 1,5 °C Mil­lio­nen von Men­schen­le­ben sowie das Über­schrei­ten von Kipp­punk­ten mit unab­seh­ba­ren Fol­gen für das Kli­ma­sys­tem auf dem Spiel stün­den. Mit der im Kli­ma­schutz­ge­setz gere­gel­ten Reduk­ti­on von CO2-Emis­sio­nen kön­ne das der Tem­pe­ra­tur­schwel­le von 1,5 °C ent­spre­chen­de „CO2-Rest­bud­get“ nicht ein­ge­hal­ten wer­den. Die zum Teil in Ban­gla­desch und Nepal leben­den Beschwer­de­füh­ren­den stüt­zen ihre Ver­fas­sungs­be­schwer­den vor allem auf grund­recht­li­che Schutz­pflich­ten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG, auf ein Grund­recht auf men­schen­wür­di­ge Zukunft und ein Grund­recht auf das öko­lo­gi­sche Exis­tenz­mi­ni­mum, wel­che sie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit Art. 20a GG und aus Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ablei­ten. Hin­sicht­lich der von den Beschwer­de­füh­ren­den als „Voll­brem­sung“ bezeich­ne­ten künf­ti­gen Belas­tung durch Emis­si­ons­min­de­rungs­pflich­ten für Zeit­räu­me nach 2030 beru­fen sich die Beschwer­de­füh­ren­den all­ge­mein auf die Freiheitsrechte.

Wesent­li­che Erwä­gun­gen des Senats:

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den haben teil­wei­se Erfolg.

I. Soweit die Beschwer­de­füh­ren­den natür­li­che Per­so­nen sind, sind ihre Ver­fas­sungs­be­schwer­den zuläs­sig. Die bei­den Umwelt­ver­bän­de sind hin­ge­gen nicht beschwer­de­be­fugt. Sie machen auf­grund von Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit Art. 19 Abs. 3 GG und Art. 20a GG im Lich­te des Art. 47 GRCh als „Anwäl­te der Natur“ gel­tend, der Gesetz­ge­ber habe kei­ne geeig­ne­ten Maß­nah­men zur Begren­zung des Kli­ma­wan­dels ergrif­fen und hier­durch ver­bind­li­che uni­ons­recht­li­che Vor­ga­ben zum Schutz der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen miss­ach­tet. Eine sol­che Beschwer­de­be­fug­nis sehen das Grund­ge­setz und das Ver­fas­sungs­pro­zess­recht nicht vor.

II. Dass Schutz­pflich­ten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG wegen der Gefah­ren des Kli­ma­wan­dels ver­letzt sind, kann nicht fest­ge­stellt werden.

Der Schutz des Lebens und der kör­per­li­chen Unver­sehrt­heit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beein­träch­ti­gun­gen durch Umwelt­be­las­tun­gen ein, gleich von wem und durch wel­che Umstän­de sie dro­hen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG fol­gen­de Schutz­pflicht des Staa­tes umfasst auch die Ver­pflich­tung, Leben und Gesund­heit vor den Gefah­ren des Kli­ma­wan­dels, etwa vor kli­ma­be­ding­ten Extrem­wet­ter­er­eig­nis­sen wie Hit­ze­wel­len, Wald- und Flä­chen­brän­den, Wir­bel­stür­men, Stark­re­gen, Über­schwem­mun­gen, Lawi­nen­ab­gän­gen oder Erd­rut­schen, zu schüt­zen. Sie kann eine objek­tiv­recht­li­che Schutz­ver­pflich­tung auch in Bezug auf künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen begrün­den. Da infol­ge des Kli­ma­wan­dels Eigen­tum, zum Bei­spiel land­wirt­schaft­lich genutz­te Flä­chen und Immo­bi­li­en, etwa auf­grund stei­gen­den Mee­res­spie­gels oder wegen Dür­ren Scha­den neh­men kön­nen, schließt auch das Grund­recht auf Eigen­tum aus Art. 14 Abs. 1 GG eine Schutz­pflicht des Staa­tes hin­sicht­lich der Eigen­tums­ge­fah­ren des Kli­ma­wan­dels ein.

Eine Ver­let­zung die­ser Schutz­pflich­ten lässt sich ange­sichts des dem Gesetz­ge­ber bei der Erfül­lung zukom­men­den Spiel­raums nicht fest­stel­len. Zum grund­recht­lich gebo­te­nen Schutz vor den Gefah­ren des Kli­ma­wan­dels offen­sicht­lich unge­eig­net wäre ein Schutz­kon­zept, das nicht das Ziel der Kli­ma­neu­tra­li­tät ver­folg­te; die Erd­er­wär­mung könn­te dann nicht auf­ge­hal­ten wer­den, weil jede Erhö­hung der CO2-Kon­zen­tra­ti­on in der Atmo­sphä­re zur Erd­er­wär­mung bei­trägt und ein­mal in die Atmo­sphä­re gelang­tes CO2 dort wei­test­ge­hend ver­bleibt und abseh­bar kaum wie­der ent­fernt wer­den kann. Völ­lig unzu­läng­lich wäre zudem, dem Kli­ma­wan­del frei­en Lauf zu las­sen und den grund­recht­li­chen Schutz­auf­trag allein durch soge­nann­te Anpas­sungs­maß­nah­men umzu­set­zen. Bei­des ist hier nicht der Fall. Im Ergeb­nis kann auch nicht fest­ge­stellt wer­den, dass der Gesetz­ge­ber sei­nen Ent­schei­dungs­spiel­raum über­schrit­ten hat, indem er das „Paris-Ziel“ zugrun­de gelegt hat, wonach der Anstieg der glo­ba­len Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur auf deut­lich unter 2 °C und mög­lichst auf 1,5 °C zu begren­zen ist. Hier­bei ist auch von Bedeu­tung, dass zum Schutz der Grund­rech­te vor den Gefah­ren des Kli­ma­wan­dels ein ergän­zen­der Schutz durch Anpas­sungs­maß­nah­men prin­zi­pi­ell mög­lich ist.

Es kann offen blei­ben, ob grund­recht­li­che Schutz­pflich­ten den deut­schen Staat auch gegen­über den in Ban­gla­desch und Nepal leben­den Beschwer­de­füh­ren­den ver­pflich­ten, gegen die­se dro­hen­den und bereits ein­ge­tre­te­nen Beein­träch­ti­gun­gen durch den glo­ba­len Kli­ma­wan­del vor­zu­ge­hen. Denn die Ver­let­zung einer grund­recht­li­chen Schutz­pflicht könn­te im Ergeb­nis auch inso­weit nicht fest­ge­stellt werden.

III. Grund­rech­te sind aber dadurch ver­letzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 bis zum Jahr 2030 zuge­las­se­nen Emis­si­ons­men­gen die nach 2030 noch ver­blei­ben­den Emis­si­ons­mög­lich­kei­ten erheb­lich redu­zie­ren und dadurch prak­tisch jeg­li­che grund­recht­lich geschütz­te Frei­heit gefähr­det ist. Als inter­tem­po­ra­le Frei­heits­si­che­rung schüt­zen die Grund­rech­te die Beschwer­de­füh­ren­den hier vor einer umfas­sen­den Frei­heits­ge­fähr­dung durch ein­sei­ti­ge Ver­la­ge­rung der durch Art. 20a GG auf­ge­ge­be­nen Treib­haus­gas­min­de­rungs­last in die Zukunft. Der Gesetz­ge­ber hät­te Vor­keh­run­gen zur Gewähr­leis­tung eines frei­heits­scho­nen­den Über­gangs in die Kli­ma­neu­tra­li­tät tref­fen müs­sen, an denen es bis­lang fehlt.

  1. Die ange­grif­fe­nen Rege­lun­gen ent­fal­ten ein­griffs­ähn­li­che Vor­wir­kung auf die durch das Grund­ge­setz umfas­send geschütz­te Freiheit.Die Mög­lich­kei­ten, von die­ser Frei­heit in einer Wei­se Gebrauch zu machen, die direkt oder indi­rekt mit CO2-Emis­sio­nen ver­bun­den ist, sto­ßen an ver­fas­sungs­recht­li­che Gren­zen, weil CO2-Emis­sio­nen nach der­zei­ti­gem Stand wei­test­ge­hend irrever­si­bel zur Erwär­mung der Erde bei­tra­gen, der Gesetz­ge­ber einen ad infi­ni­tum fort­schrei­ten­den Kli­ma­wan­del aber von Ver­fas­sungs wegen nicht taten­los hin­neh­men darf. Vor­schrif­ten, die jetzt CO2-Emis­sio­nen zulas­sen, begrün­den eine unum­kehr­bar ange­leg­te recht­li­che Gefähr­dung künf­ti­ger Frei­heit, weil sich mit jeder CO2-Emis­si­ons­men­ge, die heu­te zuge­las­sen wird, die in Ein­klang mit Art. 20a GG ver­blei­ben­den Emis­si­ons­mög­lich­kei­ten ver­rin­gern; ent­spre­chend wird CO2-rele­van­ter Frei­heits­ge­brauch immer stär­ke­ren, auch ver­fas­sungs­recht­lich gebo­te­nen Restrik­tio­nen aus­ge­setzt sein. Zwar müss­te CO2-rele­van­ter Frei­heits­ge­brauch, um den Kli­ma­wan­del anzu­hal­ten, ohne­hin irgend­wann im Wesent­li­chen unter­bun­den wer­den, weil sich die Erd­er­wär­mung nur stop­pen lässt, wenn die anthro­po­ge­ne CO2-Kon­zen­tra­ti­on in der Erd­at­mo­sphä­re nicht mehr wei­ter steigt. Ein umfang­rei­cher Ver­brauch des CO2-Bud­gets schon bis 2030 ver­schärft jedoch das Risi­ko schwer­wie­gen­der Frei­heits­ein­bu­ßen, weil damit die Zeit­span­ne für tech­ni­sche und sozia­le Ent­wick­lun­gen knap­per wird, mit deren Hil­fe die Umstel­lung von der heu­te noch umfas­send mit CO2-Emis­sio­nen ver­bun­de­nen Lebens­wei­se auf kli­ma­neu­tra­le Ver­hal­tens­wei­sen frei­heits­scho­nend voll­zo­gen wer­den könnte.

Die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit die­ser nicht bloß fak­ti­schen, son­dern recht­lich ver­mit­tel­ten ein­griffs­ähn­li­chen Vor­wir­kung aktu­el­ler Emis­si­ons­men­gen­re­ge­lun­gen setzt zum einen vor­aus, dass sie mit dem objek­tiv­recht­li­chen Kli­ma­schutz­ge­bot des Art. 20a GG ver­ein­bar ist. Grund­rechts­ein­grif­fe las­sen sich ver­fas­sungs­recht­lich nur recht­fer­ti­gen, wenn die zugrun­de­lie­gen­den Rege­lun­gen den ele­men­ta­ren Grund­ent­schei­dun­gen und all­ge­mei­nen Ver­fas­sungs­grund­sät­zen des Grund­ge­set­zes ent­spre­chen. Das gilt ange­sichts der ein­griffs­ähn­li­chen Vor­wir­kung auf grund­recht­lich geschütz­te Frei­heit auch hier. Zu den zu beach­ten­den Grund­sät­zen zählt auch Art. 20a GG. Zum ande­ren setzt die ver­fas­sungs­recht­li­che Recht­fer­ti­gung vor­aus, dass die Emis­si­ons­men­gen­re­ge­lun­gen nicht zu unver­hält­nis­mä­ßi­gen Belas­tun­gen der künf­ti­gen Frei­heit der Beschwer­de­füh­ren­den führen.

  1. Der­zeit kann nicht fest­ge­stellt wer­den, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 gegen Art. 20a GG verstoßen.

a) Art. 20a GG ver­pflich­tet den Staat zum Kli­ma­schutz und zielt auf die Her­stel­lung von Kli­ma­neu­tra­li­tät. Der Kli­ma­schutz genießt kei­nen unbe­ding­ten Vor­rang gegen­über ande­ren Belan­gen, son­dern ist im Kon­flikt­fall in einen Aus­gleich mit ande­ren Ver­fas­sungs­rechts­gü­tern und Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en zu brin­gen. Wegen der nach heu­ti­gem Stand wei­test­ge­hen­den Unum­kehr­bar­keit des Kli­ma­wan­dels wären Ver­hal­tens­wei­sen, die zu einer Über­schrei­tung der nach dem ver­fas­sungs­recht­li­chen Kli­ma­schutz­ziel maß­geb­li­chen Tem­pe­ra­tur­schwel­le führ­ten, jedoch nur unter engen Vor­aus­set­zun­gen – etwa zum Schutz von Grund­rech­ten – zu recht­fer­ti­gen. Dabei nimmt das rela­ti­ve Gewicht des Kli­ma­schutz­ge­bots in der Abwä­gung bei fort­schrei­ten­dem Kli­ma­wan­del wei­ter zu.

Der Kli­ma­schutz­ver­pflich­tung aus Art. 20a GG steht nicht ent­ge­gen, dass Kli­ma und Erd­er­wär­mung glo­ba­le Phä­no­me­ne sind und die Pro­ble­me des Kli­ma­wan­dels daher nicht durch die Kli­ma­schutz­bei­trä­ge eines Staa­tes allein gelöst wer­den kön­nen. Der Kli­ma­schutz­auf­trag des Art. 20a GG hat eine beson­de­re inter­na­tio­na­le Dimen­si­on. Art. 20a GG ver­pflich­tet den Staat, eine Lösung des Kli­ma­schutz­pro­blems gera­de auch auf über­staat­li­cher Ebe­ne zu suchen. Der Staat könn­te sich sei­ner Ver­ant­wor­tung nicht durch den Hin­weis auf die Treib­haus­gas­emis­sio­nen in ande­ren Staa­ten ent­zie­hen. Aus der spe­zi­fi­schen Ange­wie­sen­heit auf die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft folgt viel­mehr umge­kehrt die ver­fas­sungs­recht­li­che Not­wen­dig­keit, eige­ne Maß­nah­men zum Kli­ma­schutz tat­säch­lich zu ergrei­fen und für ande­re Staa­ten kei­ne Anrei­ze zu set­zen, das erfor­der­li­che Zusam­men­wir­ken zu unterlaufen.

Auch der offe­ne Norm­ge­halt von Art. 20a GG und die dort expli­zit for­mu­lier­te Ver­wei­sung auf die Gesetz­ge­bung schlie­ßen eine ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Kon­trol­le der Ein­hal­tung des Kli­ma­schutz­ge­bots nicht aus; Art. 20a GG ist eine jus­ti­zia­ble Rechts­norm, die den poli­ti­schen Pro­zess zuguns­ten öko­lo­gi­scher Belan­ge auch mit Blick auf die beson­ders betrof­fe­nen künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen bin­den soll.

Indem der Gesetz­ge­ber das Paris-Ziel in § 1 Satz 3 KSG zur Grund­la­ge erklärt hat, hat er in Wahr­neh­mung sei­nes Kon­kre­ti­sie­rungs­auf­trags und sei­ner Kon­kre­ti­sie­rungs­prä­ro­ga­ti­ve das Kli­ma­schutz­ziel des Art. 20a GG zuläs­sig dahin­ge­hend kon­kre­ti­siert, den Anstieg der glo­ba­len Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur auf deut­lich unter 2 °C und mög­lichst auf 1,5 °C gegen­über dem vor­in­dus­tri­el­len Niveau zu begren­zen. Dies ist auch der ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Prü­fung zugrundezulegen.

b) Unter Berück­sich­ti­gung des Spiel­raums des Gesetz­ge­bers ist der­zeit nicht fest­zu­stel­len, dass die Rege­lun­gen des § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 das ver­fas­sungs­recht­li­che Kli­ma­schutz­ge­bot aus Art. 20a GG verletzen.

Die ver­fas­sungs­recht­lich maß­geb­li­che Tem­pe­ra­tur­schwel­le von deut­lich unter 2 °C und mög­lichst 1,5 °C kann prin­zi­pi­ell in ein glo­ba­les CO2-Rest­bud­get umge­rech­net wer­den, das sich dann auf die Staa­ten ver­tei­len lässt. Der Inter­go­vern­men­tal Panel on Cli­ma­te Chan­ge (IPCC) hat für ver­schie­de­ne Tem­pe­ra­tur­schwel­len und ver­schie­de­ne Ein­tritts­wahr­schein­lich­kei­ten auf­grund eines qua­li­täts­si­chern­den Ver­fah­rens unter Offen­le­gung der ver­blei­ben­den Unsi­cher­heit kon­kre­te glo­ba­le CO2-Rest­bud­gets benannt. Auf die­ser Grund­la­ge hat der Sach­ver­stän­di­gen­rat für Umwelt­fra­gen auch für Deutsch­land ein ab 2020 ver­blei­ben­des kon­kre­tes natio­na­les Rest­bud­get ermit­telt, das mit dem Paris-Ziel ver­ein­bar wäre. Auf­grund der hier­in ent­hal­te­nen Unge­wiss­hei­ten und Wer­tun­gen kann die ermit­tel­te Bud­get­grö­ße zwar der­zeit kein zah­len­ge­nau­es Maß für die ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Kon­trol­le bie­ten. Dem Gesetz­ge­ber bleibt Ent­schei­dungs­spiel­raum. Die­sen darf er jedoch nicht nach poli­ti­schem Belie­ben aus­fül­len. Besteht wis­sen­schaft­li­che Unge­wiss­heit über umwelt­re­le­van­te Ursa­chen­zu­sam­men­hän­ge, erlegt Art. 20a GG dem Gesetz­ge­ber eine beson­de­re Sorg­falts­pflicht auf. Danach müs­sen bereits belast­ba­re Hin­wei­se auf die Mög­lich­keit gra­vie­ren­der oder irrever­si­bler Beein­träch­ti­gun­gen berück­sich­tigt werden.

Der­zeit kann ein Ver­stoß gegen die­se Sorg­falts­pflicht nicht fest­ge­stellt wer­den. Zwar folgt dar­aus, dass Schät­zun­gen des IPCC zur Grö­ße des ver­blei­ben­den glo­ba­len CO2-Rest­bud­gets zu berück­sich­ti­gen sind, obwohl dar­in Unge­wiss­hei­ten ent­hal­ten sind. Durch die in § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 gere­gel­ten Emis­si­ons­men­gen wür­de das vom Sach­ver­stän­di­gen­rat für Umwelt­fra­gen auf der Grund­la­ge der Schät­zun­gen des IPCC ermit­tel­te Rest­bud­get bis zum Jahr 2030 weit­ge­hend auf­ge­braucht. Das Maß an Ver­feh­lung bil­de­te jedoch ver­gli­chen mit den der­zeit in der Berech­nung des Rest­bud­gets ent­hal­te­nen Unsi­cher­hei­ten kei­ne hin­rei­chen­de Grund­la­ge für eine ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Beanstandung.

  1. § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Ver­bin­dung mit Anla­ge 2 genü­gen jedoch nicht dem aus dem Gebot der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit fol­gen­den Erfor­der­nis, die nach Art. 20a GG ver­fas­sungs­recht­lich not­wen­di­gen Reduk­tio­nen von CO2-Emis­sio­nen bis hin zur Kli­ma­neu­tra­li­tät vor­aus­schau­end in grund­rechts­scho­nen­der Wei­se über die Zeit zu verteilen.

a) Danach darf nicht einer Gene­ra­ti­on zuge­stan­den wer­den, unter ver­gleichs­wei­se mil­der Reduk­ti­ons­last gro­ße Tei­le des CO2-Bud­gets zu ver­brau­chen, wenn damit zugleich den nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen eine radi­ka­le Reduk­ti­ons­last über­las­sen und deren Leben umfas­sen­den Frei­heits­ein­bu­ßen aus­ge­setzt wür­de. Künf­tig kön­nen selbst gra­vie­ren­de Frei­heits­ein­bu­ßen zum Schutz des Kli­mas ver­hält­nis­mä­ßig und ver­fas­sungs­recht­lich gerecht­fer­tigt sein; gera­de des­halb droht dann die Gefahr, erheb­li­che Frei­heits­ein­bu­ßen hin­neh­men zu müs­sen. Weil die Wei­chen für künf­ti­ge Frei­heits­be­las­tun­gen bereits durch die aktu­el­le Rege­lung zuläs­si­ger Emis­si­ons­men­gen gestellt wer­den, müs­sen die Aus­wir­kun­gen auf künf­ti­ge Frei­heit aber aus heu­ti­ger Sicht ver­hält­nis­mä­ßig sein. Auch der objek­tiv­recht­li­che Schutz­auf­trag des Art. 20a GG schließt die Not­wen­dig­keit ein, mit den natür­li­chen Lebens­grund­la­gen so sorg­sam umzu­ge­hen und sie der Nach­welt in sol­chem Zustand zu hin­ter­las­sen, dass nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen die­se nicht nur um den Preis radi­ka­ler eige­ner Ent­halt­sam­keit wei­ter bewah­ren könnten.

Die nach 2030 ver­fas­sungs­recht­lich gebo­te­ne Treib­haus­gas­min­de­rungs­last wird erheb­lich sein. Ob sie so ein­schnei­dend aus­fällt, dass damit aus heu­ti­ger Sicht unzu­mut­ba­re Grund­rechts­be­ein­träch­ti­gun­gen ver­bun­den wären, lässt sich zwar nicht fest­stel­len. Das Risi­ko gra­vie­ren­der Belas­tun­gen ist jedoch hoch und kann mit den künf­tig betrof­fe­nen Frei­heits­grund­rech­ten nur in Ein­klang gebracht wer­den, wenn dies mit Vor­keh­run­gen zur grund­rechts­scho­nen­den Bewäl­ti­gung der nach 2030 dro­hen­den Reduk­ti­ons­last ver­bun­den ist. Das ver­langt auch, den Über­gang zu Kli­ma­neu­tra­li­tät recht­zei­tig ein­zu­lei­ten. Kon­kret erfor­der­lich ist, dass früh­zei­tig trans­pa­ren­te Maß­ga­ben für die wei­te­re Aus­ge­stal­tung der Treib­haus­gas­re­duk­ti­on for­mu­liert wer­den, die für die not­wen­di­gen Ent­wick­lungs- und Umset­zungs­pro­zes­se Ori­en­tie­rung bie­ten und die­sen ein hin­rei­chen­des Maß an Ent­wick­lungs­druck und Pla­nungs­si­cher­heit ver­mit­teln. Ver­fas­sungs­recht­lich uner­läss­lich ist dafür zum einen, dass wei­te­re Reduk­ti­ons­maß­ga­ben recht­zei­tig über das Jahr 2030 hin­aus und zugleich hin­rei­chend weit in die Zukunft hin­ein fest­ge­legt wer­den. Zum ande­ren müs­sen wei­te­re Jah­res­e­mis­si­ons­men­gen und Reduk­ti­ons­maß­ga­ben so dif­fe­ren­ziert fest­ge­legt wer­den, dass eine hin­rei­chend kon­kre­te Ori­en­tie­rung entsteht.

b) Der Gesetz­ge­ber hat die Fort­schrei­bung des Treib­haus­gas­re­duk­ti­ons­pfads in § 4 Abs. 6 Satz 1 KSG ver­fas­sungs­recht­lich unzu­rei­chend gere­gelt. Zwar kann nicht ver­langt wer­den, dass die absin­ken­den Emis­si­ons­men­gen bereits jetzt bis zur Errei­chung der für 2050 ange­streb­ten Kli­ma­neu­tra­li­tät kon­kret bestimmt wer­den. Jedoch genügt es nicht, die Bun­des­re­gie­rung ledig­lich dazu zu ver­pflich­ten, ein­mal – im Jahr 2025 – durch Rechts­ver­ord­nung eine wei­te­re Fest­le­gung zu tref­fen. Viel­mehr müss­te zumin­dest gere­gelt wer­den, in wel­chen Zeit­ab­stän­den wei­te­re Fest­le­gun­gen trans­pa­rent zu tref­fen sind. Mit dem in § 4 Abs. 6 KSG gere­gel­ten Vor­ge­hen ist zudem nicht gesi­chert, dass der wei­te­re Reduk­ti­ons­pfad recht­zei­tig erkenn­bar ist. So erscheint bereits zwei­fel­haft, dass die ers­te wei­te­re Fest­le­gung von Jah­res­e­mis­si­ons­men­gen in Zeit­räu­men nach 2030 im Jahr 2025 recht­zei­tig käme. Auch über die­se ers­te Fest­le­gung hin­aus ist die Recht­zei­tig­keit nicht gesi­chert, weil § 4 Abs. 6 Satz 1 KSG nicht gewähr­leis­tet, dass die Fest­le­gun­gen weit genug in die Zukunft rei­chen. Der Gesetz­ge­ber müss­te dem Ver­ord­nungs­ge­ber, sofern er an des­sen Ein­bin­dung fest­hält, wei­ter­rei­chen­de Fest­le­gun­gen auf­ge­ben; ins­be­son­de­re müss­te er ihn schon vor 2025 zur ers­ten wei­te­ren Fest­le­gung ver­pflich­ten oder ihm wenigs­tens deut­lich frü­her durch gesetz­li­che Rege­lung vor­ge­ben, wie weit in die Zukunft die Fest­le­gun­gen im Jahr 2025 rei­chen müs­sen. Wenn der Gesetz­ge­ber die Fort­schrei­bung des Reduk­ti­ons­pfads voll­stän­dig über­nimmt, muss er selbst alles Erfor­der­li­che ent­spre­chend recht­zei­tig weit genug in die Zukunft hin­ein regeln.

c) § 4 Abs. 6 KSG genügt bis­lang auch nicht den ver­fas­sungs­recht­li­chen Anfor­de­run­gen aus Art. 80 Abs. 1 GG und dem Grund­satz des Geset­zes­vor­be­halts. Der Gesetz­ge­ber muss jeden­falls die Grö­ße der fest­zu­le­gen­den Jah­res­e­mis­si­ons­men­gen für Zeit­räu­me nach 2030 selbst bestim­men oder nähe­re Maß­ga­ben zu deren kon­kre­ten Bestim­mung durch den Ver­ord­nungs­ge­ber treffen.

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